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Schopenhauer : Seelenwanderung und Karma |
Wohl fast jeder Mensch sucht im Laufe seines Lebens Antwort auf die Frage, was wird aus mir nach meinem Tode - oder gehe ich gar dann total unter? Die Religionen und Philosophien geben hierauf zwar unterschiedliche Antworten, jedoch eine Auffassung hat seit ältesten Zeiten immer wieder viele Anhänger gefunden: Es ist, wie Arthur Schopenhauer es nannte, der Mythos von der Seelenwanderung. Im ersten Band seines Hauptwerkes Die Welt als Wille und Vorstellung schrieb Schopenhauer, indem er sich auf die in den indischen Religionen geltende uralte Lehre von der Seelenwanderung und dem Karma bezog : “Er (also der Mythos der Seelenwanderung) lehrt, daß alle Leiden, welche man im Leben über andere Wesen verhängt, in einem folgenden Leben auf eben dieser Welt, genau durch die selben Leiden wieder abgebüßt werden müssen; welches so weit geht, daß wer nur ein Thier tödtet, einst in der unendlichen Zeit auch als eben ein solches Thier geboren werden und und den selben Tod erleiden wird. ... Nie hat ein Mythos und nie wird einer sich der so Wenigen zugänglichen, philosophischen Wahrheit enger anschließen, also diese uralte Lehre des edelsten und ältesten Volkes, bei welchem sie, so entartet es auch jetzt in vielen Stücken ist, doch noch als allgemeiner Volksglaube herrscht und auf das Leben entschiedenen Einfluß hat, heute so gut, wie vor vier Jahrtausenden. Jenes non plus ultra (Unübertreffliche) mythischer Darstellung haben daher schon Pythagoras und Plato mit Bewunderung aufgefaßt ...”(1) Obwohl sich Schopenhauer so anerkennend über diesen Mythos der Seelenwanderung (auch als Metempsychose bezeichnet) äußerte, neigte er doch stärker einer etwas anderen, verwandten Lehre zu, nämlich der von der Palingenesie, von der er meinte, dass sie der Buddhismus lehren würde. Dazu Schopenhauer: “Der Tod giebt sich unverholen kund als das Ende des Individuums, aber in diesem Individuum liegt der Keim zu einem neuen Wesen. Demnach nun also stirbt nichts von Allem, was da stirbt, für immer; aber auch Keines, das geboren wird, empfängt ein von Grund aus neues Daseyn. Das Sterbende geht unter: aber ein Keim bleibt übrig, aus welchem ein neues Wesen hervorgeht, welches ins Daseyn tritt, ohne zu wissen, woher es kommt und weshalb es gerade ein solches ist, wie es ist. Dies ist das Mysterium der Palingenesie ... Sehr wohl könnte man unterscheiden Metempsychose, als Uebergang der gesammten sogenannten Seele in einen andern Leib, - und Palingenesie, als Zersetzung und Neubildung des Individui, indem allein sein Wille beharrt und die Gestalt eines neuen Wesens annehmend, einen neuen Intellekt erhält; also das Individuum sich zersetzt wie Neutralsalz, dessen Basis sodann mit einer andern Säure sich zu einem neuen Salz verbindet.”(2) Laut Schopenhauer steht hinter Allem ein Metaphyisches, welches er “Wille” nannte.(3) Dieser (metaphysische) Wille manifestiert sich in allen Erscheinungsformen dieser Welt, wozu auch der Intellekt, ja sogar der individuelle Wille jedes Menschen gehört. Die Formen, in welcher dieser Wille erscheint, sind vergänglich, nicht jedoch der (metaphysische) Wille selbst. Daher ist das Äußere alles Lebenden zwar sterblich, was hingegen ihr Innerstes ausmacht, ist unvergänglich, also nicht dem Tod unterworfen. So schrieb Schopenhauer: “Da der Intellekt, welcher allein die Fähigkeit der Erinnerung hat, der sterbliche Theil, oder die Form ist, der Wille aber der ewige, die Substanz: demgemäß ist zur Bezeichnung dieser Lehre das Wort Palingenesie (Wiederentstehung) richtiger, als Metempsychose ( Seelenwanderung ) ... Mit dieser Ansicht stimmt auch die eigentliche, so zu sagen esoterische Lehre des Buddhaismus, wie wir sie durch die neusten Forschungen kennen gelernt haben, überein, indem sie nicht Metempsychose, sondern eine eigenthümliche, auf moralischer Basis ruhende Palingenesie lehrt, welche sie mit großem Tiefsinn ausführt und darlegt ...”(4) Für die meisten Buddhisten sei aber, wie Schopenhauer hinzufügte, diese Lehre von der Palingenesie “zu subtil”. Daher werde ihnen als “faßlicher” Ersatz die Metempsychose, also die Seelenwanderung, gepredigt.(5) Schopenhauers Ausführungen stehen im engen Zusammenhang mit der altindischen Lehre vom Karma, die der Buddha jedoch in einem sehr bedeutsamen Punkt erheblich modifiziert hatte: Das Sanskritwort Karma bedeutete im alten Indien zunächst nur die Tat, also eine körperliche Handlung. Der Buddha hingegen verfeinerte diesen Begriff, wie die beiden folgenden Zitate aus seinen Lehrreden zeigen: “Vorbedachtes Wollen bezeichne ich als Tat: denn wenn man etwas gewollt hat, handelt man mit dem Leibe, mit der Rede und dem Geiste.”(6) “Nicht verschwinden die gewollten, vollbrachten, aufgeschichteten Taten spurlos, ohne daß man eine Wirkung von ihnen verspürt, sei es in dieser, sei es in einer künftigen Existenz. So sicher wie ein emporgeworfener Würfel immer wieder fest zu stehen kommt, so sicher gelangen die Wesen infolge ihrer Taten zu einem neuen Dasein.”(7) Für den Buddha war somit nicht allein die Tat entscheidend, sondern vor allem der hinter ihr stehende Wille .(8) Obgleich hier wahrscheinlich nicht ein metaphysischer “Wille” im Sinne Schopenhauers gemeint ist, sondern der individuelle Wille des Menschen, so zeigt sich auch dabei eine Übereinstimmung mit Schopenhauer.(9) Auch bei Schopenhauers Ethik geht es nicht um die bloße Tat, sondern um das eigentlich Gewollte. Die Auffassungen Arthur Schopenhauers und des Buddha zu dem, was nach dem Tode ist, also zu dem, was gemeinhin Seelenwanderung genannt wird, sind trotz mancher Unterschiede erstaunlich ähnlich. Vor allem aber: Beide großen Weisheitslehrer waren - wie oben dargelegt - aus ähnlichen Gründen davon überzeugt, dass es eine ausgleichende Gerechtigkeit, wenn nicht schon in diesem Dasein, dann in einer der folgenden Existenzen, gibt. Es ist eben so, wie der Buddha sagte: Der hoch geworfene Würfel kommt immer wieder fest zu stehen.
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