Arthur Schopenhauer

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Schopenhauer und Buddhismus

Rad der buddhistischen Lehre  (Symbol der Altbuddhistischen Gemeinde)

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Der buddhistische Weg zur Erlösung ( Nirwana )

 und Schopenhauer

Aus dem Vortrag von Herbert Becker am 25. März 1984
 im
Buddhistischen Haus, Berlin-Frohnau.

 ( > Vorbemerkungen )
 

Im Vorraum zur Bibliothek des Buddhistischen Hauses hängt das Bild eines Philosophen, dem der Buddhismus in Deutschland sehr viel verdankt; Arthur Schopenhauer. Denn wie kaum ein anderer hat Schopenhauer dazu beigetragen, dass die buddhistische Lehre in Deutschland im 19. Jahrhundert bekannt wurde und - zumindest mittelbar - Einfluss auf das deutsche Geistesleben gewann. Für viele Persönlichkeiten, die später bekannte Buddhisten wurden, war Schopenhauer Lehr- meister und Wegweiser zur Buddha-Lehre : z. B. für Georg Grimm, Karl Eugen Neumann und Nyanatiloka. Das allein zeigt schon, welch` große Bedeutung Arthur Schopenhauer für den Buddhismus im deutschen Sprachraum hat.

Der Ausgangspunkt der Philosophie Schopenhauers ist wie bei der Buddha-Lehre eine Erfahrung, die früher oder später jeder von uns machen muss, nämlich die, dass Alter, Krankheit und Tod die wirklichen Begleiter unseres Lebens sind, ja dass das Leben schlechthin Leiden bedeutet. Im Dhammapada, der ältesten Spruchsammlung mit buddhistischen Weisheiten, ist diese Erfahrungstatsache in dem Satz zusammengefasst:

                                       Alles Sein ist flammend Leid.

Schopenhauer hat das in seinen Werken sehr eindrucksvoll beschrieben und wie der Buddha, so fragte auch er sich: Wodurch kann das Leiden überwunden werden? Was sind seine Ursachen? Hierbei ging Schopenhauer von der Erkenntnis aus, dass wir die Welt nicht objektiv, sondern nur subjektiv wahrnehmen und zwar so, wie uns die Welt nach unseren Vorstellungen erscheint. Wir sehen die Welt gewissermaßen wie durch eine Brille mit gefärbten Gläsern. Je nach unseren Stimmungen erscheint uns die Welt manchmal trübe, dunkel, grau in grau, manchmal aber hell und freundlich, in rosigen Farben.

Die objektive Seite der Welt, also das, was hinter unseren Vorstellungen steht, ist nach Schopenhauer der Wille. Diese Kraft wirkt in uns wie in allen Wesen als blinder Lebenstrieb, als Begehren, als unersättlicher Drang nach immer neuer Bedürfnisbefriedigung.

“Der Wille ist ewig erneuerte Begierde, zielloses Streben, Unbefriedigtsein. und daher Unlust ohne Ziel und Ende. Alle Lust ist flüchtige Aufhebung der Unlust, sie erlischt, um neuer Unlust, neuem Begehren, neuen Schmerzen Platz zu machen. Nie stillt sie den Mangel,. .... Dass wir überhaupt wollen ist unser Unglück .... Aber das wollen kann nie befriedigt werden; daher hören wir nie auf zu wollen, und das Leben ist ein dauernder Jammer.”
( Schopenhauer )

Deshalb ist der Wille, das Begehren, die Ursache des Leidens. Das Leiden kann demnach nur dann vollständig beseitigt werden, wenn seine Ursache, also der Wille, überwunden wird.

Welchen Weg müssen wir beschreiten, um uns von diesem unheilsamen Willensdrang  befreien zu können? Der Schlüssel, der uns den Zugang zu diesem Weg eröffnet, ist das Mitleid.

Durch das Mitleid wird das Leid des anderen zum eigenen Leid. Wir versetzen uns dabei in die Lage des anderen, wobei dieses "Hineinversetzen", dieses "Mit- Leiden" dann soweit gehen kann, dass wir uns mit dem anderen Menschen und schließlich mit allen Lebewesen identifizieren. Das ist eine Erfahrungstatsache, die jeder durch eigenes Erleben unmittelbar bestätigt finden wird.

Wer das erlebt hat, der erkennt, dass alles Leben letztlich wesensgleich, ja eine Einheit ist. In diesem Einheitserlebnis werden die Schranken zwischen dem "lch" und dem "Du" aufgehoben und so die Identität beider erfahren und erkannt. lm Dhammapada heißt es hierzu:

                                               Ein jedes Wesen scheuet Qual,
                                               Und jedem ist sein Leben lieb,
                                               Erkenn‘ dich selbst in jedem Sein
                                               Und töte nicht
                                               Und lass' nicht töten.

Daher war für Schopenhauer wie für den Buddha das Mitleid allumfassend und nicht nur auf den Menschen bezogen, sondern auch auf die Tiere, "für welche in den anderen Europäischen Moralsystemen so unverantwortlich schlecht gesorgt ist. Die vermeintliche Rechtlosigkeit der Tiere, der Wahn, dass unser Handeln gegen sie ohne moralische Bedeutung sei, oder, wie es in der Sprache jener Moral heißt, dass es gegen Tiere keine Pflichten gebe, ist geradezu eine empörende Rohheit und Barbarei des Abendlandes... Mitleid mit Tieren hängt mit der Güte des Charakters so genau zusammen, dass man zuversichtlich behaupten darf, wer gegen Tiere grausam ist, könne kein guter Mensch sein." ( Schopenhauer )

Tief gefühltes Mitleid mit allem, was Leben hat, ist aber nicht lediglich ein passives Empfinden, denn es äußert sich in der "Güte des Herzens", die von Schopenhauer mit Worten beschrieben wird, die in ihrer sprachlichen Schönheit und Kraft kaum zu übertreffen sind:

“Wie Fackeln und Feuerwerk vor der Sonne blass und unscheinbar werden, so wird Geist, ja Genie, und ebenfalls die Schönheit, überstrahlt und verdunkelt von der Güte des Herzens. wo diese in hohem Grade hervortritt, kann sie den Mangel jener Eigenschaften so sehr ersetzen, dass man solche vermisst zu haben sich schämt. Sogar der beschränkteste Verstand, wie auch die groteske Hässlichkeit, werden, sobald die ungemeine Güte des Herzens sich in ihrer Begleitung kundgetan, gleichsam verklärt, umstrahlt von einer Schönheit höherer Art, indem jetzt aus ihnen eine Weisheit spricht, vor der jede andere verstummen muss. Denn die Güte des Herzens ist eine transzendente Eigenschaft, gehört einer über dieses Leben hinausreichenden Ordnung der Dinge an und ist mit jeder andern Vollkommenheit nicht vergleichbar. Wo sie in hohem Grade vorhanden ist, macht sie das Herz groß, dass es die Welt umfasst, so dass jetzt alles in ihm, nichts mehr außerhalb liegt; da sie ja alle Wesen mit dem eigenen identifiziert. Alsdann verleiht sie auch gegen andere jene grenzenlose Nachsicht, die sonst jeder nur sich selber widerfahren lässt. Ein solcher Mensch ist nicht fähig, sich zu erzürnen: sogar wenn etwa seine eigenen intellektuellen oder körperlichen Fehler den boshaften Spott und Hohn anderer hervorgerufen haben, wirft er, in seinem Herzen, nur sich selber vor, zu solchen Äußerungen der Anlass gewesen zu sein, und fährt daher, ohne sich Zwang anzutun, fort, jene auf das liebreichste zu behandeln, zuversichtlich hoffend, dass sie von ihrem Irrtum hinsichtlich seiner zurückkommen und auch in ihm sich selber wiedererkennen werden."

Wer diese Worte Schopenhauers vergleicht mit der Lobpreisung der "Metta" im buddhistischen Pali-Kanon, wird eine geradezu vollkommene Übereinstimmung feststellen können, denn Metta, die unermessliche Güte zu allem Lebendigen, war für den Buddha die höchste der Tugenden.

Alle echte, d.h. uneigennützige Tugend beruht auf dem Mitleid, der Güte des Herzens, und das ist die eigentliche Triebfeder eines wahrhaft selbstlosen Verhaltens.

 "Denn grenzenloses Mitleid mit allen lebenden Wesen ist der festeste und sicherste Bürge für das sittliche Wohlverhalten und bedarf keiner besonderen Begründung. Wer davon erfüllt ist, wird zuverlässig Keinen verletzen, Keinen beeinträchtigen, Keinem wehe tun, vielmehr mit Jedem Nachsicht haben, Jedem verzeihen, Jedem helfen, so viel er vermag.”
 ( Schopenhauer )

 Selbstloses Verhalten, also echte Tugend, ist die Voraussetzung für die Überwindung des Willens, des Egoismus, weil Egoismus bejaht den Willen, ja er ist mit ihm identisch.

Überwindung des Willens, des Begehrens, so lehrte Schopenhauer wie der Buddha, erfordert aber auch eine höhere Art von Erkenntnis, welche wir durch kontemplative Betrachtung in meditativer Versenkung, durch "reine Anschauung" gewinnen. "Alle Weisheit beruht zuletzt auf Anschauung und nicht abstrakten Sätzen." (Schopenhauer).

Tugend, Meditation und Weisheit sind die drei Kennzeichen des buddhistischen Weges zur Erlösung vom Leiden, zum Nirwana, und diesen Weg wies auch Schopenhauer. So finden wir die Vier Edlen Wahrheiten, den Kern der buddhistischen Lehre, in der Philosophie Schopenhauers in wunderbarer Übereinstimmung wieder. Mit Recht bezeichnete daher Schopenhauer sich selbst und seine Anhänger als  "Buddhaisten".

Wie sehr die Philosophie Schopenhauers gleich der Lehre des Buddha zutiefst Erlösungsmystik ist, beweisen die folgenden ergreifenden Worte Schopenhauers:

"Wenden wir aber den Blick von unserer eigenen Dürftigkeit und Befangenheit auf diejenigen, welche die Welt überwanden, in denen der Wille, zur vollen Selbsterkenntnis gelangt, sich in allem wiederfand und dann sich selbst frei verneinte..., so zeigt sich uns statt des rastlosen Dranges und Treibens, statt des steten Überganges von Wunsch zu Furcht und von Freude zu Leid, statt der nie befriedigten und nie ersterbenden Hoffnung, daraus der Lebenstraum des wollenden Menschen besteht, jener Friede, der höher ist als alle Vernunft, jene gänzliche Meeresstille des Gemüts, jene tiefe Ruhe, unerschütterliche Zuversicht und Heiterkeit, deren bloßer Abglanz im Antlitz... ein ganzes und sicheres Evangelium ist. Nur die Erkenntnis ist geblieben, der Wille ist verschwunden .... Was nach gänzlicher Aufhebung des Willens übrig bleibt, ist für alle die, welche noch des Willens voll sind, allerdings nichts. Aber auch umgekehrt ist denen, in welchen der Wille sich gewendet und verneint hat, diese unsere so sehr reale Welt mit allen ihren Sonnen und Milchstraßen - nichts."

Hieraus lässt sich aber keinesfalls eine nihilistische, die Transzendenz leugnende Auslegung der Buddha-Lehre herleiten. Denn mit überzeugender Begründung bemerkte Schopenhauer völlig zutreffend, dass seine Lehre, und das gilt gleichermaßen auch für die Lehre des Buddha, nur von dem reden kann, " was verneint, aufgegeben wird: was dafür aber gewonnen, ergriffen wird, ist sie genötigt als Nichts zu bezeichnen und kann bloß den Trost hinzufügen, dass es nur ein relatives, kein absolutes Nichts sei. Denn wenn etwas nichts ist von allem dem, was wir kennen, so ist es allerdings für uns überhaupt nichts. Dennoch folgt hieraus noch nicht, dass es absolut nichts sei, dass es nämlich auch von jedem möglichen Standpunkt aus und in jedem möglichen Sinne nichts sein müsse; sondern nur, dass wir auf eine völlig negative Erkenntnis desselben beschränkt sind; welches sehr wohl an der Beschränkung unseres Standpunktes liegen kann."

Über das Nirwana, dem buddhistischen Heilsziel, schrieb Schopenhauer;

" Die Buddhisten aber bezeichnen, mit voller Redlichkeit, die Sache bloß negativ,  durch Nirwana, welches die Negation dieser Welt oder des Sansara ist. Wenn Nirwana als das Nichts definiert wird, so will dies nur sagen, dass der Sansara  kein einziges Element, welches zur Definition oder Konstruktion des Nirwana dienen könnte.”

Für den Buddha und für viele andere, die seinen Weg gegangen sind, wurde das Nirwana, dieser Zustand höchsten Heils, in dem das Leid vollständig und endgültig überwunden ist, eine unumstößliche von ihnen selbst erlebte Tatsache und daher konnte der Buddha mit Gewissheit sagen:

Es gibt ein Nichtgewordenes, Nichtgestaltetes, Nichtgeborenes, und deshalb gibt es einen Ausweg aus dem Gewordenen, Gestalteten, Geborenen.

Auch Schopenhauer wusste das, und von diesem Wissen zeugen seine Worte:

Hinter unserem Dasein steckt etwas anderes, welches uns erst dadurch zugänglich wird, dass wir die Welt abschütteln.
 

Weiteres > Worte des Buddha zum Nirwana

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